Schaltstellen der Zukunft
Je vernetzter die Welt, desto h?her die Anspr¨¹che an die Infrastruktur f¨¹r den Datenverkehr. ETH Pioneer Fellow Marc Reig Escal¨¦ und sein Team entwickeln neuartige Chips, die Informationen schneller verarbeiten als bislang m?glich und dabei sogar weniger Energie ben?tigen.
Er ist kaum dicker als eine Postkarte und eine Briefmarke wirkt riesig gegen ihn. Seine Oberfl?che schimmert blau-schwarz, darin goldene Intarsien. Sein Sch?pfer h?lt ihn mit der Pinzette wie ein wertvolles Juwel. Marc Reig Escal¨¦ hat einen Chip entwickelt, der Daten¨¹bertragung mit Hochgeschwindigkeit erlaubt und darum in der Zukunft von 5G und Konsorten eine wichtige Rolle spielen k?nnte.
Denn der Trend ist seit Jahren klar: In einer zunehmend vernetzten Welt, in der K¨¹hlschr?nke von selbst Nachschub bestellen, wenn die Milch zur Neige geht, und B¨¹rost¨¹hle sich von allein auf die R¨¹cken ihrer Nutzer einstellen, weil sie auf die Erfahrung mit Millionen anderen R¨¹cken zur¨¹ckgreifen k?nnen, nimmt der Datenverkehr enorm zu. Verkehr, der sich haupts?chlich auf Glasfaserkabeln als Autobahnen abspielt. Unter unseren Strassen, ¨¹berirdisch von Mast zu Mast oder in den Tiefen des Meeres den Globus umspannend, liegen diese Kabel b¨¹ndelweise und leiten in Lichtpulsen kodierte Informationen weiter.
Aber genauso wie Autobahnen alleine nicht ausreichen, um G¨¹ter von A nach B zu transportieren, sondern die LKWs, die auf ihnen fahren, auch be- und entladen werden m¨¹ssen, sind auch Glasfaserkabel in der Welt des Datenverkehrs nur die halbe Miete. Die Informationen m¨¹ssen kodiert und dekodiert werden. Das bedeutet, sie m¨¹ssen den Lichtsignalen aufgepr?gt und am Ende wieder ausgelesen werden.
Lichtschaltungen im Miniaturformat
Marc Reig Escal¨¦ und seine Kollegen vom Institut f¨¹r Quantenelektronik der ETH Z¨¹rich haben mit ihrem neuartigen Chip nun einen Weg gefunden, dieses Aufpr?gen von Informationen sehr viel effizienter zu gestalten als das bisher m?glich war. Die Idee ist es, f¨¹r die winzigen Schaltstellen die jeweilig besten bekannten Materialien aus Optik und Mikroelektronik zu vereinen. Da w?re zun?chst Silizium, der wichtigste Grundstoff der Computerindustrie und Namensgeber des Silicon Valley. Als Halbleiter eignet es sich hervorragend f¨¹r den Bau elektrischer Schaltkreise, wie man sie auf Chips in Rechnern oder Handys findet. Als Kristall wird Silizium auch in optischen Chips verwendet, um Lichtwellen zu ¨¹bertragen. Das hat praktische Vorteile, weil die Herstellung im Miniaturformat schon aus der Mikroelektronik bekannt ist.
Doch f¨¹r optische Zwecke ist Silizium bei Weitem nicht die beste Wahl. Dort bringt das sogenannte Lithiumniobat sehr viel g¨¹nstigere Eigenschaften mit sich, denn es kann zum Beispiel mit einer grossen Spanne von verschiedenen Lichtfrequenzen arbeiten. Ein wichtiger Effekt f¨¹r die Datenverarbeitung: Das kristalline Material vermag die Intensit?t einfallenden Lichtes zu ver?ndern, je nachdem, welche elektrische Spannung man von aussen anlegt. Elektrische Signale lassen sich so mit H?chstgeschwindigkeit in optische Signale umwandeln ¨C genau das, was f¨¹r das ?Beladen der LKWs?, die auf die Datenautobahnen geschickt werden, ben?tigt wird.
Bislang sind diese Umwandler aus Lithiumniobat jedoch noch so gross, dass sie viel Energie verbrauchen. Reig Escal¨¦ konnte jedoch auf eine Technik zur¨¹ckgreifen, die zu Beginn des Jahrtausends an der ETH Z¨¹rich entwickelt wurde, um extrem d¨¹nne Schichten von Lithiumniobat auf den bekannten Silizium-Chips aufzubringen. Mit verschiedenen ?tzverfahren gelang es dem Physiker, feine Strukturen aus dieser Kristallschicht zu sch?len, in die man Laserlicht einspeisen kann. Gepaart mit zierlichen Gold-Elektroden lassen sich so elektrische Signale sehr effizient in optische ¨¹bersetzen. Das austretende Laserlicht enth?lt die Informationen, die zuvor in elektrischer Form an die Elektroden geschickt worden waren. ?Mit unseren Chips verbrauchen wir weniger Energie und k?nnen mindestens doppelt so schnell Signale verarbeiten wie die kommerziellen Alternativen, die es im Moment gibt?, erkl?rt der Forscher aus dem Labor von ETH-Professorin Rachel Grange. Bildlich gesprochen bedeutet das, dass ein einzelner Chip mehr LKWs pro Zeiteinheit beladen und damit als Umschlagplatz sehr viel mehr Datenautobahnen gleichzeitig bedienen kann.
Ein Gl¨¹cksgriff f¨¹r die Telekommunikations-Branche
Diese Nachricht brauchte nicht lange, um Freunde in der Industrie zu finden. Mit dem Ausbau des 5G-Netztes und dem bereits geplanten 6G-Nachfolger steigen die Daten¨¹bertragungsraten in immer schwindelerregendere H?hen. H?hen, die auch von den einzelnen beteiligten Komponenten erklommen werden m¨¹ssen. Gleichzeitig sorgt der Trend, immer mehr Gegenst?nde des Alltags, wie eben K¨¹hlschr?nke oder B¨¹rost¨¹hle, an das Netz anzubinden ¨C das sogenannte ?Internet der Dinge? ¨C daf¨¹r, dass die schiere Menge an Daten, die verarbeitet werden m¨¹ssen, enorm zunimmt.
Ein bisschen verbl¨¹fft wirkt Reig Escal¨¦ aber noch immer, wenn er erz?hlt, auf welch begeisterte Resonanz die neue Technologie schon w?hrend seines Doktorats bei Firmen stiess, mit denen die Gruppe kooperierte. ?Die waren schon am ersten, noch ganz primitiven Chip interessiert!?
Und so wagt der Physiker nun den Schritt hinaus aus der reinen Wissenschaft. ?Versics? heisst das junge Unternehmen, dass er im Rahmen seines ETH Pioneer Fellowship gegr¨¹ndet hat. Der Name steht f¨¹r ?Versatile Optics?, denn die Technologie ist vielseitig verwendbar ¨C und zwar nicht nur auf der Erde. Sie k?nnte zum Beispiel auch bei der Satelliten-Kommunikation zum Einsatz kommen.
Bereits in diesem Jahr soll der erste marktf?hige Prototyp stehen. Daf¨¹r arbeitet das Team um Reig Escal¨¦ im Moment auf Hochtouren. Mit der Chip-Fertigung im Reinraum und den Qualit?tstests im Optik-Labor, bei denen jeder einzelne der technischen Juwelen auf Herz und Nieren gepr¨¹ft wird, ist es noch l?ngst nicht getan. Das Geh?use musste entworfen und Anschl¨¹sse integriert werden, die Industriestandards entsprechen. Auf der Zielgeraden gilt es nun, alle Einzelteile zusammenzuf¨¹gen und gleichzeitig zuk¨¹nftige Kunden wie Investoren von den Pl?nen zu ¨¹berzeugen. Als Koordinator des Ganzen hat Reig Escal¨¦ alle H?nde voll zu tun. ?Forschung ist wirklich nicht das gleiche wie Vermarktung!? gibt er lachend zu und betont, was f¨¹r tatkr?ftige Mitstreiter er hat, drinnen im Labor und draussen in der Gesch?ftswelt.
Sein Vater sei zu Beginn skeptisch gewesen, weil er ¨C mit der eigenen Firma selbstst?ndig ¨C wusste, was auf den Sohn zukommt. Das hat sich inzwischen ge?ndert. ?Meine ganze Familie unterst¨¹tzt mich?, ist sich der geb¨¹rtige Katalane gewiss. Und wenngleich der Skype-Kontakt in die Heimat die Entfernung nicht voll ¨¹berbr¨¹cken kann, ganz unwohl zu f¨¹hlen scheint sich Reig Escal¨¦ in der Schweiz nicht: Er mag nicht nur die vielen Nationen und Kulturen, die hier zusammenkommen, sondern spricht inzwischen auch nahezu fliessend Deutsch und abonniert ganz selbstverst?ndlich den Tages-Anzeiger. Es gibt schliesslich noch andere Themen neben faszinierenden Kristallen und der vernetzten Welt der Zukunft.